In diesem C! Podcast spricht Corinne M. Flick mit Alexander Kluge, dem Denker, Autor und Filmemacher, zum Thema:
Was charakterisiert den Ernstfall?
Hier seine Gedanken in Kürze:
Eine Markierung des Ernstfalls ist, dass es um Leben und Tod geht. Aber wenn etwas endgültig und dauerhaft ist, ist es auch ernst. Wenn ich Kinder bekomme zum Beispiel. Überall wo eine Verantwortung existiert, gibt es den Ernst.
Krieg in der Ukraine, Klimakatastrophe… Wir haben im 21. Jahrhundert einen gordischen Knoten neben dem anderen.
Ein Physiker kann genauso poetisch sein wie ein Dichter. Nur die Genauigkeiten sind verschieden: Die Literatur kann den Möglichkeitssinn besser, die Wissenschaft den Wirklichkeitssinn. Wir brauchen beide zusammen – wie ein Gebiss statt nur einer Zahnreihe. Wir müssen Einfühlung und Sachlichkeit verbinden.
Das Menschen den Ernstfall nicht wahrnehmen, ist Selbstverteidigung. Der Mensch ist ein Glückswesen … Es kann sein, dass die Nerven und das Gefühl etwas wahrnehmen, doch der Verstand zögert.
Man denkt, die Tränen würden den Blick verschleiern. Das Gegenteil ist wahr. Die Fähigkeit zu trauern macht hellsichtig. Ich sehe weniger und erkenne mehr. Die Fähigkeit zu trauern, macht das Steinerne und Verhärtete in uns wieder weich und flüssig.
Die künstliche Intelligenz weiß heute schneller als wir, was wir wollen, was wir wünschen und was wir sind. Sie versteht von unserer Subjektivität fast so viel wie wir selbst. Dagegen müssen wir uns umrüsten, in die Lücken eindringen, einen Gegenalgorithmus aufbauen.