Wer trägt die Verantwortung für eine lebbare Welt? Diese Frage stellt sich angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, geopolitischer Spannungen und wachsender sozialer Ungleichheiten immer drängender. In diesem Newsletter beleuchten wir, wie sich Verantwortlichkeiten verteilen. Lesen Sie hier Gedanken zum Thema:
Demokratie und Autorität neu denken
Wer Autorität besitzt, hat Verantwortung. Je mehr Autorität, desto größer die Verantwortung. (Autorität im Wandel)
Um Stabilität und eine funktionierende Gesellschaft zu bewahren, müssen regierende Autoritäten sich mit aufkommenden Autoritäten aller Art auseinandersetzen und versuchen, Herausforderungen besser zu begegnen durch Erklärung und Führung. So lassen sich neue Akteure und Wissensfelder, die nach Autorität streben, in unsere heutigen Systeme einflechten, damit es bei einem Wandel von demokratischer oder rechtsstaatlicher Autorität bleibt und nicht zu einem Bruch oder Versagen der Demokratie und des Rechtsstaats kommt.
Demokratie benötigt Autorität und sie muss Autorität ausstrahlen, sie darf aber nicht autoritär sein. Ihre größte gegenwärtige Gefährdung liegt in der Entwicklung zu einem »Spiel ohne Bürger«, bei dem niemand da ist, der der Demokratie Autorität gibt und die Bürger keine Autorität verspüren.
Das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Bereitschaft der Bürger ihn zu stützen, bilden den Kitt, der die beiden Ebenen – Staat und Gesellschaft – zusammenhält. Im empfundenen Pakt mit der Obrigkeit stehen die Bürger dem Staat zwar gegenüber, begreifen sich idealerweise aber zugleich als diesem zugehörig und teilen die auch in der Verfassung verankerten Grundwerte. Insofern ist die Erziehung hin zur demokratischen Verantwortung, zum offenen Meinungsaustausch und zum Respekt gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft ebenso wichtig wie die Vermittlung eines Bewusstseins für die »Abwehrpositionen«, die sich für Einzelne aus ihren garantierten Grundrechten und -freiheiten ergeben.
Man kann sicher noch eine Weile so tun, als gäbe es einen intakten liberalen Grundkonsens über gemeinsam geteilte Werte, die den Bestand des liberalen Gesellschaftsmodells auch künftig sichern werden. Es ist jedoch längst nicht mehr zu übersehen, dass die liberalen Grundfreiheiten, die in langwierigen politischen Auseinandersetzungen zum Schutz der privaten Freiheitsentfaltung gegen den Totalitarismus der staatlichen Sphäre erkämpft wurden, inzwischen vielfach als Deckmantel neuer gesellschaftlicher Totalitarismen in Form religiöser, ethnischer und nationalistischer Machtideologien in ihr Gegenteil verkehrt werden. Eine verantwortungsvolle Politik müsste das Mantra »Nie wieder!«, das der Neugründung Deutschlands nach 1945 zugrunde lag, ernst nehmen und sich immer wieder neu vor Augen führen, dass sich die liberale Trennung von Sittlichkeit und Autonomie nicht durchhalten lässt. Individuelle und politische Autonomie, die entscheidenden Säulen des liberalen Gesellschaftsmodells, sind nur möglich in einem Gesamtklima gesellschaftlicher Liberalität, das sich gegen neue Totalitarismen konsequent zur Wehr setzt.
Die deutsche Demokratie ist bislang nicht in der Krise. Sie befindet sich aber in unruhigen Zeiten, und es gibt erkennbare Krisensymptome. Letztlich liegt es daher an uns allen, die Demokratie gar nicht erst in eine Krise stürzen zu lassen. Wir sind das Volk und wir tragen, jeder für sich nach seinen Möglichkeiten, Verantwortung dafür, dass die Voraussetzungen, von denen der demokratische Rechtsstaat und seine Akzeptanz leben, erhalten bleiben: indem wir von unseren demokratischen Mitwirkungsrechten Gebrauch machen, indem wir andere – uns widerstrebende – Auffassungen zur Kenntnis nehmen und sie zumindest erwägen, indem wir politische Gegner nur als solche und nicht als »Feinde« betrachten, und indem wir uns weder von Amtsträgern noch von den Sprachrohren des juste milieu von dem abbringen lassen, was wir für richtig erkannt zu haben meinen und nicht zuletzt, indem wir auf die verfassungsrechtlich verbrieften Versprechen der Grundrechte vertrauen.