Statements zur US-Wahl

Das Ergebnis der US-Wahl steht fest und hat sowohl in den Vereinigten Staaten als auch weltweit hohe Wellen geschlagen. Es wirft weitreichende Fragen auf – nicht nur für die Vereinigten Staaten selbst, sondern auch für Europa und die Zukunft der internationalen Beziehungen. Was wird Donald Trumps Rückkehr für die globalen Freiheits- und Demokratiebestrebungen bedeuten? Was sind konkret die Auswirkungen, Befürchtungen, Hoffnungen und Strategien? Lesen Sie hier Statements und Meinungen einiger unserer CONVOCO! Denkerinnen und Denker:

US-Wahl 2024: Eine Zäsur für Demokratie und transatlantische Beziehungen?

Für Deutschland und die EU bedeutet der Sieg von Donald Trump drei Dinge: Erstens ist es noch wichtiger als bisher, dass die Wirtschaftspolitik das Wachstum und die eigene Leistungsfähigkeit priorisiert. Zweitens muss Europa seine Rüstungsproduktion erhöhen und die Ukraine mehr unterstützen, weil die USA das weniger tun werden. Drittens sollten wir mit der Trump Administration das Gespräch suchen, denn es gibt ja durchaus gemeinsame Interessen, nicht nur Konflikte. Dazu gehören der intensive, beidseitig vorteilhafte Handel und die geopolitische Konkurrenz zwischen dem Westen einerseits und China und Russland andererseits.

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest – ifo Institut

Wann eine Epoche zu Ende geht, kann man erst aus einiger zeitlicher Distanz beurteilen, wenn die mittel- und langfristigen Folgen eines Umbruchs erkenn- und abschätzbar werden. Erst dann hat man valide Kriterien zur Verfügung und gründet das eigene Urteil nicht allein auf ein alarmistisches Gefühl. So war es im Falle der Corona-Pandemie wie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Aber auch wenn uns diese zeitliche Distanz zum zweiten Wahlsieg Donald Trumps noch fehlt, lässt sich schon jetzt abschätzen, was dieser 5. November 2024 auf unterschiedlichen Ebenen markiert: Für die Vereinigten Staaten bedeutet der Tag den Beginn eines großen und im Ergebnis offenen Effizienztests der Demokratie, ihrer Institutionen, Verfahren und Akteure. Und damit werden die USA auch zum globalen Labor für Regression und Resilienz des westlichen Modells und seiner Freiheitspostulate. Im Blick auf die Rolle der USA in der Welt des 21. Jahrhunderts bestätigt der Tag die Neuausrichtung auf den Indopazifik und einen künftigen Konflikt mit China, ein Prozess, der die schon vor längerer Zeit eingesetzt hat. Ihn allein mit einem Präsidenten Trump zu personalisieren, verkennt den strukturellen Umbruch, dessen Konsequenzen man in Europa noch immer gröblich unterschätzt. Mit diesem Fokus wird das Ende der bald 250 Jahre dominierenden, aber bereits seit Beginn des 21. Jahrhunderts abnehmenden  transatlantischen Verflechtung mit Europa unübersehbar. Für Europa, dessen Eliten in großen Teilen die erste Präsidentschaft Trumps noch als populistischen „Betriebsunfall“ interpretierten und an ein Ende der Sicherheitsdominanz der USA nicht glauben mochten, ist eine existenzielle Herausforderung schon jetzt absehbar: nämlich das eigene Freiheitsmodell wirksam in einer multipolaren Welt zu verteidigen, neue Partner neben den USA zu suchen und eine strategisch glaubwürdige Antwort auf eine Aggressionspolitik zu finden, die keine regelbasierte internationale Ordnung akzeptiert. Und Deutschland? Kein Land in Europa hat so sehr von der transatlantischen Partnerschaft profitiert wie Deutschland: nach beiden Weltkriegen, bei der Etablierung von Demokratie und Marktwirtschaft in Westdeutschland, am Ende des Kalten Krieges, bei der Wiedervereinigung. Das deutsche Politik- und Wirtschaftsmodell setzte stets das transatlantische Sicherheitsversprechen voraus, das allein die USA so geben konnten. Wir wissen in diesem Moment mehr über die  Sicherheiten, die uns in Deutschland abhandengekommen sind, als über die Antworten auf diese Herausforderung und ihre Tragfähigkeit in einer Welt vergrößerter Unsicherheit. So könnte es ein Jahrzehnt des multiplen Risikos werden: politisch, wirtschaftlich und militärisch, mit verminderter Erwartungssicherheit und einem für Europa und zumal Deutschland dramatischen Anpassungsdruck auf unterschiedlichen Ebenen.

Prof. Dr. Jörn Leonhard – Historiker, Universität Freiburg

Vielleicht der schwierigste Moment in der Geschichte der Bundesrepublik, zur inneren Strukturkrise kommen nun massive außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind (trotz der vielen Mahnungen). Wir müssen jetzt umschalten.

Prof. Dr. Moritz Schularick – IfW Kiel

Die Wahl in den USA ist überraschend klar für Donald Trump ausgegangen. Ich verbinde damit verschiedene Befürchtungen: Die Polarisierung der Gesellschaft in den USA ist hart und klar, Konflikte sind oft an der Grenze zur Gewalt. Trump ignoriert rechtsstaatliche Regeln, es besteht die reale Gefahr, dass er demokratische Institutionen abbauen wird, wie Orban das in Ungarn tut. Und: es ist bei weitem nicht nur blosse Rhetorik zu sagen, dass nun ein verurteilter Straftäter zum Präsidenten der USA gewählt worden ist – das zeigt einen eklatanten Vertrauensverlust einer Mehrheit der Amerikaner/innen, die ihre Stimme abgegeben haben, in die politische Klasse – es ist ihnen egal, ob ihr Präsident ein Straftäter ist, vielleicht spricht es in ihren Augen sogar für ihn. Liberale Demokratie steht damit in der ältesten liberalen Demokratie der Welt auf der Kippe.

Für die westlichen Werte bedeutet das, dass sie in einem ihrer Ursprungsländer hart angegriffen werden. Freiheit, Gleichheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität – Trump wird diese Werte nach innen und außen illiberal interpretieren und damit das Lager der illiberalen Systeme und der Autokratien stärken, sowohl in seinen Taten als auch ideologisch. Dies wird auch in Europa die illiberalen oder rechtspopulistischen Regierungen stärken. Trumps deutliche Sympathie für die autokratischen Herrscher Russlands und Chinas wird in der Welt Gewichte zugunsten der Autokratien verschieben. In den Kriegen gegen die Ukraine und in Gaza ist schließlich anzunehmen, dass die USA sich nun eher zurückhalten werden, was die NATO herausfordern und einen ohnehin nur teilweise geeinten Westen weiter schwächen kann. 

Diese Situation ist also eine Herausforderung für die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie für die NATO: sie müssen nun eigenständig definieren und vertreten, wofür sie stehen – das aber kann gerade auch eine positive Herausforderung sein.

Prof. Dr. Claudia Wiesner – Hochschule Fulda, University of Applied Science

On November 5, we observed a considerable and striking shift to the right among the American electorate. The U.S. has revealed itself to be distinctly more conservative than many had thought – something we observed across many age groups, around the country, and among minorities from Black Americans and Latinos to Indigenous people. The economy can explain part of it, certainly, but it seems what we saw should also be understood as a value-shift much more than just a response to perceptions about the economy (which by many of the usual measures is doing quite well, though clearly in rather uneven ways). Trump managed to mobilize his voters, and Harris failed to do so. There is much to analyze about the election campaign, about how people these days get information and thus about what kind of messaging works for them, etc., but what also seems to have mattered greatly is a conservative shift around various dimensions of value:
 

  1. Leadership style. (a) Voters showed a distinctive preference for authoritarian, strongman, personality-cult leadership, over the messy business of democracy. They understand that presidential power was substantially strengthened through recent Supreme Court decisions. They also understand that Trump intends to exert revenge on his enemies, the group he ominously calls the “enemy within.” His disdain for democratic institutions has been on display all along. That people voted for him nonetheless expresses not just that they are aware of these things and don’t mind, but rather that they prefer his leadership style. (b) The misogynistic rhetoric also suggests that a distinctive version of machismo is at work here – the strongman must indeed be a man, and presumably a white man. It seems Trump gets a lot of credit under the rubric of “boys will be boys” – large parts of the electorate were forgiving when it comes to his failures in this domain.
 
  1. The focus on the here and on the now. (a) Climate change played almost no role in this election, even though timing around this matter is critical. So the future played no role – also regarding the promises of considerable tax cuts and other measures that promise to alleviate economic burdens today, despite the fact that they can only be realized via a massive increase of public debt tomorrow. (b) While the American economy overall is strong, its strength has failed to reach many people, and worries about inflation and also housing have overpowered many other concerns. (c) Anti-immigrant rhetoric was very strong, sometimes appealing to an American sense of fairness (“they need to stand in line”), but sometimes also pandering to deep-seated in-group/out-group dynamics. We should expect for the rhetoric around mass-deportations to be very politically potent. There are many more than 10 million undocumented immigrants in the U.S., including at least half a million “Dreamers,” the people who came to the U.S. as minors and have not been able to become documented. We should expect for the rhetoric around mass-deportations to be very politically potent, which could cause a lot of trauma in society. (d) In the foreign-policy domain, we can expect a mix of isolationism and transactional approaches to alliances.
 
  1. The rebuttal of emancipatory agendas. I see this election result as a widespread reaction against the emancipatory agendas that we at the Carr Center support and believe in, such as Black Lives Matter, #MeToo, and the global LGBTQI+ movement. Specifically evident in this election were questions of women’s rights and trans rights. (a) It was widely expected that topics around women’s reproductive rights would play a much larger role than they did. It seemed to matter comparatively little, especially to male voters, that the Roe vs. Wade settlement about abortion rights has been discarded. (b) Fierce rhetoric against transgender individuals was a strong part of Trump’s campaign, in the name of family values, and we should think of this election result also as a larger rebuttal of the whole domain of emancipatory causes around people outside the gender binary.
 
  1. Liberal disconnect/anti-establishment rhetoric. Liberal cultural elites (aka us at Harvard) are perceived as not working in the service of the country as a whole, and certainly not on behalf of socio-economically disadvantaged social classes. This remains an ongoing issue.  Books like Thomas Frank’s Listen, Liberal! and Chloe Maxmin’s Dirtroad Renewal speak to this, and make suggestions on what to do. The Democratic party has yet again failed to understand a widespread national point of view, and has failed to effectively reach even some of their historically loyal voters. The party needs to adapt. To some extent this is about liberal disconnect, but the Harris coalition also very visibly included prominent conservatives – who were perceived as establishment figures rather than drivers of what many voters regarded as a much-needed conservative response.

 
If indeed a shift towards conservativism is what has been going on here, we should expect the culture wars to intensify and involve universities at an even larger scale. In the foreign policy domain, isolationism and transactionalism are likely to be bad for human-rights causes around the world. Trump’s return to the White House will be welcome news for Putin and his war against Ukraine. And it will also be welcome news for Netanyahu and his policies around Gaza and Lebanon.
 
If we want to strengthen these liberal causes (which have been sidelined by this conservative shift) and more, we as a human-rights community must continue to do two things: (a) stand up for them at home and abroad; and (b) shift narratives so that they are understood as inclusive cultural values rather than values imposed by an elite that is otherwise out of touch. We must try to find ways to make our contribution to the healing of our divided country by first recognizing the failures of the liberal side and understanding the desires and needs of our neighbors.

Prof. Dr. Mathias Risse – Harvard Kennedy School

Viele in Europa hätten sich einen anderen Ausgang der US-Präsidentenwahl gewünscht, auch ich. Aber das ist nicht der Zeitpunkt, um in Trübsinn zu verfallen, ganz im Gegenteil. Jetzt gilt es, Rückgrat zu zeigen, mit voller Kraft unser Land zu modernisieren, den europäischen Zusammenhalt und die strategische Unabhängigkeit Europas zu stärken, und unseren Kindern vorzuleben, dass es sich lohnt, für unsere europäischen Werte einzustehen. Und dabei nicht unsere amerikanischen Freundinnen und Freunde zu vergessen, die auf eine Präsidentin Kamala Harris gehofft hatten.

Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer – Vorsitzende der Wirtschaftsweisen; LMU München

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