BlogDie Zukunft des kapitalismus
Convoco hat ein Interview mit dem Soziologen Jens Beckert über „Die Zukunft des Kapitalismus“ geführt. Jens Beckert ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie an der Universität zu Köln.
Convoco: Convoco behandelt 2018 das Thema „Die Zukunft des Kapitalismus – eine Vision“. […] Was sind Imaginationen der Zukunft?
Jens Beckert: Die Zukunft gibt es nur als eine Vorstellung […] Imaginationen der Zukunft sind in allen gesellschaftlichen Bereichen wegweisend.
C: Sie zitieren Augustinus von Hippo „Erwartungen sind die Gegenwart der zukünftigen Dinge“. Was bewirken Erwartungen?
JB: Erwartungen sind der Treibstoff unserer modernen kapitalistischen Wirtschaft. […] Ob sie tatsächlich eintreffen, lässt sich aber nicht voraussehen.
C: Sie sprechen von fiktionalen Erwartungen. Was meinen Sie damit?
JB: Akteure stellen sich eine zukünftige Gegenwart vor […] In diesem Sinn spreche ich von fiktionalen Erwartungen.
C: Ist die Ungewissheit ein Grundpfeiler des Kapitalismus?
JB: Die Dynamik des Kapitalismus beruht auf dem immerwährenden Entstehen des Neuen. […] Zuletzt die Finanzkrise von 2008.
C: Erwartungen unter Bedingungen von Ungewissheit betrachten Sie als fiktional. Wieviel Irrationalität ist im Spiel?
JB: Wirtschaftsakteure versuchen natürlich so genau wie irgend möglich ihre Entscheidungen zu kalkulieren. […] müsste auch vertuscht werden, damit das Narrativ glaubwürdig bleiben kann.
C: Die kapitalistische Wirtschaft erweitert den Zeithorizont durch Imagination der Zukunft. Kann man sagen, dass sich in der Ökonomie alles um die Zukunft dreht?
JB: Ja, die Moderne […] Sie sind nur noch ein eingeübter Vorrat, der teilweise in die Imaginationen der Zukunft eingeht.
C: Der Soziologe Pierre Bourdieu […] Wie entstand die spezifische temporale Disposition des modernen Kapitalismus?
JB: Aus kulturellen und institutionellen Veränderungen. […] Es hilft nichts: im Kapitalismus muss man sich an der unbekannten Zukunft orientieren.
C: Inwiefern beeinflussen promissorische Geschichten über technologische Entwicklungen die Gesellschaft?
JB: Innovationen bestehen zunächst als Vorstellung. […] Die Künstliche Intelligenz ist ein gutes Beispiel, weil es in diesem Bereich in den 60er Jahren bereits einen Hype gab, der dann völlig versandet ist.
C: Was sind die Instrumente der Imagination?
JB: Als Instrumente der Imagination bezeichne ich Sozialtechnologien, […] Sie werden einfach durch neue Prognosen ersetzt, die wieder eine Handlungsorientierung geben.
C: Wenn Erwartungen die Dynamik des Kapitalismus begründen, durch was könnte diese Dynamik unterbrochen werden?
JB: Durch überbordende Ungewissheit und durch Desinteresse. […] wird die Wachstumsdynamik erlahmen.
C: Welche Vorstellungen sind die Feinde des Wachstums?
JB: Ironischerweise haben die Gegenbewegungen zum Kapitalismus diesen ja nicht besiegt […] wenn wir sagen würden: wir haben genug.
C: Wie wichtig sind Narrative für eine Gesellschaft allgemein?
JB: Wir können uns zur Welt nur verhalten, indem wir den sensorischen Eindrücken, die wir erleben, Sinn verleihen. […] Ohne Sinn gibt es keine Gesellschaft und auch keine Wirtschaft.
C: Mit der Einführung des Konzepts der fiktionalen Erwartungen beabsichtigen Sie auch eine neue Bewertung […] Bitte erklären Sie uns das.
JB: Gemeinhin verstehen wir die moderne Wirtschaft als Inbegriff von Kalkulation und Rationalität. […] Die Dynamik des Kapitalismus hat für ihn die Grundlage gerade im Ausbrechen aus dem stahlharten Gehäuse.
C: Was wünschen Sie sich für unseren heutigen Kapitalismus?
JB: Dass die Zukunft wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung […] Sie haben aber nach meinen Wünschen gefragt.
Jens Beckert, 2018: Imaginierte Zukunft. Fiktionale Erwartungen und kapitalistische Dynamik, Frankfurt: Suhrkamp Verlag.
Jens Beckert und Richard Brong (Hg.), 2018: Uncertain Futures. Imaginaries, Narratives and Calculation in the Economy, Oxford: Oxford University Press.